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veröffentlicht am 11.05.2022
Autor:Christine Kohnke-Löbert
„Kom Mein Schatz und laß dich küßen, dein Man muß nicht alles wißen“. Wer hätte gedacht, einen solchen Spruch auf einer Haubenschachtel aus dem 18. Jahrhundert vorzufinden? Die Schachtel stammt aus dem Bestand des Museumsdorfes Hösseringen und zeigt ein Paar in Kleidung aus der Zeit um 1770. Diese und weitere kostbaren und originellen Kleidungsstücke können noch bis zum 31.10.2022 im Museumsdorf Hösseringen betrachtet werden.
Die auf der Haubenschachtel dargestellten Personen müssen gut betucht gewesen sein, denn sowohl das Kleid der Frau als auch Weste, Kniehose und Mantel des Mannes sind aufwendig gearbeitet und reich verziert. Die Frau trägt eine Haube, der Mann eine gepuderte Tollenperücke und Schnallenschuhe. „Bemalte Haubenschachteln wurden gerne als Liebesgabe oder zur Hochzeit verschenkt“, weiß der Dokumentar des Museums, Marten Thomsen. Nun ja, das Hochzeitsgeschenk dürfte hier wohl ausscheiden...
„Trachten der Lüneburger Heide und des Wendlandes“ ist der Titel der Sonderausstellung, die noch bis zum 31.10.2022 im Museumsdorf Hösseringen zu sehen ist.
Die Ausstellung entsteht in Zusammenarbeit mit den Landestrachtenverband Niedersachsen e.V. (LTN). Grund genug, um die Vorsitzenden des Trachtenkundeausschusses im LTN, Michael Kablitz und Karen Krumpa, im Vorfeld zu besuchen. Die beiden Fachleute sind sich einig: „Das Thema Tracht erfreut sich nach wie vor großer Begeisterung, und wir helfen gerne, wenn sich Gruppen mit der Geschichte der Trachten ihrer Region beschäftigen.“
Noch immer stehe die weitere Forschung im Mittelpunkt ihrer Bemühungen. „Die Lüneburger Heide und das Wendland waren arme Regionen. Das führte lange zu dem Schluss, dass es hier kaum Trachten gegeben hat“, erzählt Michael Kablitz. Aber so einfach ist es nicht. Bereits im 17. Jahrhundert gab es Kleiderordnungen, und auch vergleichsweise bescheiden anmutende Kleidungsstücke erzählen Geschichten. Da sind zum einen die „Freud- und Leid-Tücher“, zum Beispiel bestickte Wolltücher, die auf einer Seite farbenfroh und lebendig daherkommen und auf der anderen Seite in weiß oder lila-silber-blau gehalten sind. „Diese Tücher konnten zu verschiedenen Anlässen – ob zum Kirchgang oder zu einem Fest – getragen werden“, weiß Karen Krumpa.
Auch im Uelzener Raum waren Hauben – die traditionelle Bezeichnung dafür ist Mützen – durchaus verbreitet. Der ansehnliche Sammlungsbestand des Museums zeugt davon. Viele dieser Hauben sind liebevoll verziert und mit Stickereien, Brokatband und Spitzen versehen. „Auch diese Kleinigkeiten sind ein Indiz für unterschiedliche Vermögensverhältnisse auf dem Lande und ein Kleiderzeremoniell innerhalb der dörflichen Gemeinschaft. Wer es sich leisten konnte, zeigte das auch“, so Michael Kablitz.
„Der erste Abschnitt der Ausstellung beschäftigt sich mit dem Zeitraum des aktiven Trachtentragens von circa 1780 bis 1860“, erläutert Museumsleiter Dr. Ulrich Brohm. „Während das Wendland schon früh als eine Landschaft wahrgenommen wurde, in der sich spezifische, für die Region typische Kleidungsstücke herausbildeten, lässt sich für die Lüneburger Heide als Ganzes keine Tracht feststellen, sondern nur in einzelnen Gegenden wie zum Beispiel um Uelzen und um Gifhorn.“
Gezeigt werden Bestandteile von Frauen- und Männerkleidung, anhand derer die Besucher die Geschichte der Herstellung von Kleidung und deren Gebrauch nachvollziehen können. „Ein Grund für die Entstehung von Trachten war häufig zunächst die Idee der Inszenierung höfischer Zeremonien. Später spielte dann auch die Abgrenzung zu Nachbarregionen aus dem eigenen dörflichen Bewusstsein heraus eine Rolle“, erklärt Kablitz.
Lange Zeit spielten Trachten zudem bei der Vermarktung regionaler Produkte, wie etwa Obst aus dem Alten Land oder Gemüse aus Bardowick, eine wichtige Rolle. Im Rahmen der Ausstellung werden auch die Handelswege der verarbeiteten Materialien sichtbar. Denn längst nicht alles ist handgemacht und aus der Region. Gerne kauften die Frauen Material bei fahrenden Händlern ein, wie etwa Bänder aus der Krefelder Gegend oder Seide aus der Schweiz. „Trachten waren auch ein Statuszeichen“, weiß Karen Krumpa. Und wenn die Bäuerin genug „auf der hohen Kante“ hatte, trug sie auch gerne einmal Pelz.
„Die eine Tracht“, die in einer Region lange unverändert getragen wurde, gab es so nicht. „Der feine Unterschied sollte auch anhand der Kleidung kommuniziert werden“, so formuliert es Michael Kablitz.
In der Zeit nach etwa 1860 gab es einen Umbruch im ländlichen Raum: Vor allem die jüngeren Frauen legten ihre Trachten ab und orientierten sich an städtisch-bürgerlichem Vorbild. Parallel dazu entdeckten an der Volkskultur interessierte Städter die Trachten als Symbol für Tradition und „gutes altes Landleben“. Im Zuge der Heimatbewegung entstanden Beschreibungen, die das Landleben romantisch verklärten – kein Wunder, waren die Lebensbedingungen der einfachen Bevölkerung in den rasant wachsenden Städten doch mehr als schwierig.
In den Museen wurden damals die ersten Sammlungen zusammengetragen. Eine regelrechte Trachteneuphorie kam in den 1920er-Jahren auf. Heimatvereine und Tanzgruppen strebten nach einem „authentischen“ Erscheinungsbild, sammelten Informationen und schneiderten eifrig nach.
Heute machen es globale Handelsmärkte möglich, jederzeit Kleidungsstücke aus aller Welt zu erwerben und zu tragen. Modetrends verbreiten sich rasant und international. Dennoch und vielleicht gerade deshalb sind Trachten ein wichtiges regionales Bindeglied geblieben.
„Trachten sind ein lebendiges Zeugnis unserer Geschichte und damit Teil unseres kulturellen Erbes“, fasst es Michael Kablitz zusammen. Ihn und seine Mitstreiter erreichen regelmäßig Anfragen zum Thema Trachtenrekonstruktion und Textilgeschichte aus verschiedenen Regionen. „Von Tanzgruppen, oft aber auch aus dem privaten Bereich, wenn etwa in einer Familie historische Kleidung gefunden worden ist“, erläutert der Fachmann.
In solchen Fällen kann der Ausschuss, der über weitreichendes Quellmaterial verfügt, Hilfestellungen geben, Literatur empfehlen oder an die zuständigen Museen verweisen.
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